Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Nocti Vagus

Veröffentlicht am 24.08.2016

Ein Abend im Dunkelrestaurant.

Alles ist dunkel. Kein Kerzenschein, keine Uhr mit leuchtenden Ziffern, kein Handy blinkt. Absolute Finsternis.

Aber fangen wir vorne an.

Für 18:00 Uhr hatten wir einen Tisch im Dunkelrestaurant bestellt. Da in Berlin viel Zeit für Fahrten mit Bus und S-Bahn einkalkuliert werden muss, waren wir entsprechend früher vor Ort. Im Lokal war es noch dunkel und wir fragten uns, ob die Dunkelheit für uns schon gleich hinter der Eingangstür beginnt. Aber nach wenigen Minuten gingen die Lichter an und wir gingen rein. Gleich am ersten Tisch in der Lounge nahmen wir Platz. In den nächsten Minuten wurden weitere Tische besetzt. Die Beleuchtung war dezent. 

AlleGäste wurden freundlich begrüßt. In kurzen Worten erklärte uns unser Kellner Zafa den Ablauf des Abends. Er brachte uns die Karte und wir bestellten unser Menü und das Getränk für den Dunkelbereich, der sich eine Etage tiefer befindet. Zur Auswahl gibt es ein veganes Menü, ein Menü mit Fleisch und ein Überraschungsmenü. Ein Begrüßungstrunk und der erste Gang wurden in der Lounge serviert. Wir bestellten das Überraschungsmenü und wechselten ein paar Sätze mit Steffi und Axel vom Nachbartisch, die wir dort kennen lernten. Die Namen erfuhren wir aber erst eine Etage tiefer, in der Dunkelheit.

Die Erregung des Augenblicks liegt mitunter in der Überraschung.
So steht es auf der Speisenkarte.

Nach einer Weile wurden wir gefragt, ob wir bereit für den Dunkelbereich seien. Zafa führte die Gäste eine Etage tiefer in die Dunkelschleuse. Alle Gäste waren sehr neugierig. Die Schleuse war sehr schwach beleuchtet. Hier sollten wir uns in einer Reihe aufstellen, unserem Vordermann die Hände auf die Schultern legen und los ging es. Zafa verließ den Raum und aus der Dunkelheit kam unsere Kellnerin Monika, kurz Moni genannt. Das Licht ging aus und eine Tür öffnete sich. Jeder von uns hat die Augen weit aufgerissen, in der Hoffnung doch noch ein Fünkchen Licht zu erhaschen. Moni ging vor und wir setzen vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Ein ganz merkwürdiges Gefühl, aber auch eine Sache des Vertrauens an unseren Vordermann, der hoffentlich nicht irgendwo gegen lief. Paarweise wurden wir an unseren Tisch gestellt, unsere Hände wurden an den Stuhl geführt und wir konnten uns setzen. Auch das ist in der Dunkelheit gar nicht so einfach. Mein Partner saß neben mir. Ich habe im Vorfeld gedacht, dass er mir gegenüber sitzen würde. Also fragte ich am Tisch: „Sitzt hier noch Jemand am Tisch?“ Und promt wurde mir gegenüber geantwortet. Eine männliche Stimme meldete sich. Das Paar vom Nachbartisch saß hier unten bei uns am Tisch. Wie sahen die doch gleich aus? Wir führten ein sehr angeregtes Gespräch, hatten viel Spaß und haben sehr viel gelacht. Dabei erfuhren wir, dass Steffi und Axel auch gerade einen Kurzurlaub in Berlin machten. Axel hatte sich einen Wein bestellt. Als der Wein serviert wurde, bemerkte er, dass der Wein in einer Karaffe serviert wurde. Schade, dass alles dunkel war. Ich hätte zu gern gesehen, wie er den Wein in das Glas bekommen hat. Verschüttet hat Axel wohl nichts, das hätten wir sicherlich zu hören bekommen. Moni, unsere charmante Kellnerin, wollte wissen, welches Menü wir in der Lounge bestellt hatten. Jeder von uns hatte das Überraschungsmenü gewählt. Nach einer Weile wurde das Essen serviert. Moni sagte, dass sie den Brotkorb jeweils zwischen die Paare abstelle. Also tastete ich mich vorsichtig zum Brotkorb und landete mit den Fingernägeln in der Kräuterbutter. Lecker. Das Essen in totaler Finsternis funktioniert erstaunlich gut. Ab und an nahm jeder von uns die Finger zu Hilfe und suchte mit ihnen den Teller ab. Natürlich in der Hoffnung, dass alles aufgegessen war. Während und nach jedem Gang haben wir vier gerätselt, was wir gegessen haben. Einiges konnten wir sehr gut erschmecken, aber einiges musste uns Moni verraten. Was wir gegessen haben, werde ich hier nicht verraten. Nach drei Gängen und einigen Getränken im Dunkeln kam das eigentliche Highligt.

Krimi-Dinner
1 Mord, 4 Gänge und wieder viele Verdächtige in absoluter Dunkelheit. Seien Sie unser Ohrenzeuge, denn Sie werden in unseren neuesten dramatischen Kriminalfall verwickelt. Dunkle Abgründe tun sich auf, wenn Kommissar Gennat im Berliner Millieu ermittelt und Sie sind mittendrin. Düstere Spannung garantiert!

Während des Theaterstücks waren alle Gäste sehr still. Die Tatsache, dass das Lokal absolut dunkel ist, lässt es augenscheinlich (hier sollte es eher ohrenscheinlich heißen) etwas lauter erscheinen. Jedes Wort ist zu verstehen. Hier und da schreit ein Gast. Das wiederum lässt andere erschrecken. Der Herzschlag erhöht sich und die Spannung steigt. Der Mörder hat sein Opfer getötet und die Spannung löst sich mit einem kräftigen und hörbaren Atemzug. Wer hier zum Mörder wurde, wird nicht verraten.

Nach dem Theaterstück verabschiedeten sich die Gäste so nach und nach. Wir vier blieben noch eine Weile unten sitzen. Es redet sich so unbeschwert, wenn der Raum dunkel ist. Die Gespräche sind viel konzentrierter, als üblicherweise. Ich fand die Unterhaltung im Keller sehr wertvoll. Wahrscheinlich ging es Steffi und Axel ähnlich.

Da uns das gemeinsame Essen sehr gut gefallen hat, sind wir eine Etage höher in die Lounge gegangen und haben den Abend zu viert ausklingen lassen.

Mit Hilfe von Monika habe ich versucht, den Weg aus dem Lokal zu finden. Von unserem Tisch zu der Tür der Dunkelschleuse. Alleine. Schwierig, aber nicht unmöglich. Während Monika zu jeder Sekunde wusste wo ich mich befinde, musste ich mich auf meine Ohren verlassen. Ich glaube, ich habe meine Ohren aufgestellt, wie das Katzen machen. Ich folgte Monikas Stimme. Eine völlig neue Erfahrung in meinem Leben, aber unvergesslich.